Donnerstag, 27. Mai 2010

Epiphanie

Heute: Erwachen


Sie blinzelt träge in das graue Licht. Ihr Handy behauptet es sei Donnerstag, 14:08Uhr. Nicht einmal eine Woche (und noch lange nicht zwölf Tage) nach ihrer Operation. Zwei Packungen Binden, vier Liter Eiscreme, sechsundzwanzig Die Drei ??? Folgen, Hundert Jahre Einsamkeit, Die Welt als Wille und Vorstellung, null Anrufe nach ihrer Operation.

Sie steht auf, die runde Null ihrer Anrufe legt sich um ihren Hals wie eine Schlinge. Sie wird enger.
Beim Zähneputzen überlegt sie sich, warum um Himmels Willen die Spanier und Südamerikaner es nicht fertigbringen, ein Buch zu schreiben, in dem Liebe annähernd realistisch beschrieben wurde. Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schreiben, und das mit der Leidenschaft hätten sie ja durchaus drauf. Oder, so denkt sie weiter, liegt es an mir und an meiner Welt, die voller Leidenschaft und etwas arm an Liebe ist? Erkenne ich sie einfach nicht? Die Null wird wieder enger.
Verächtlich spuckt sie aus. Eine Liebe, die ausschließlich auf der Attraktivität beider Parteien (in vielen Fällen auch nur einer einzigen) beruht und andauert ist in ihrer wie in Schopenhauers Welt völliger Schwachsinn und lässt sich so wohl nur zwischen Buchdeckeln finden. Denn sonst müsste ihr Leben voll von Liebe sein (der dreifache Grund, liebster Arthur: ich bin schön, ich bin schön, ich bin schön.) Sie holt tief Luft und sprengt die Null. Dann schminkt sie sich und zieht sich ihr schwarzes Lieblingskleid (das mit den aufgedruckten Käfern) zusammen mit einer feinen Strumpfhose und hohen schwarzen Schuhen an. Sie betrachtet sich im Spiegel, legt die Hand auf den Unterkörper (ein leichtes Ziehen), tauscht die hohen schwarzen Schuhe gegen flache.
Sie ist schön.

Sie wird nun Kaffee trinken gehen, allein, und morgen vielleicht in irgendeine Bar, nicht allein.



Damals: Einschlafen


Schottland vor vielleicht einem Jahr.
Sie blinzelt träge in das graue Licht. Ihr Handy behauptet es sei Donnerstag, 14:08Uhr. Gerade einmal acht Stunden, vier Anrufe in Abwesenheit und neun SMS seit sie nach Hause gekommen und noch in ihrem schwarzen Lieblingskleid (mit den aufgedruckten Käfern) ins Bett gefallen ist. Immerhin die schwarzen hohen Schuhe hatte sie ausziehen können.
Vorsichtig tastet sie neben sich, doch das Bett ist leer. Erleichtert rollt sie sich wieder zusammen, schaltet ihr Handy aus und denkt an den gestrigen Abend.

Sie haben Bäume gepflanzt
in den Clubs.

Die Garderoben
konnten unsere modrige Stille
nicht mehr fassen.

Jetzt hängen wir sie
zum Trocknen
an die Äste,
geschüttelt vom Bass,
gelüftet vom Beat.

Wir sind Nachtschattengewächse
mit beschnittenen Sinnen
und gedüngter Gier,
wir tasten die silbernen Baumstämme
nach Lichtschaltern ab.

Meist finden wir nur
Regler
und schieben sie
in die Dämmerung.

Dann werden wir alle
wieder Erde
und Reden wird Holz
und Schweigen wird Asche
und der Morgen legt sich
um eine einzelne
vergessene Stille.

6 Kommentare:

  1. Die letzten drei Zeilen des Gedichtes sind grandios, ernsthaft!

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  2. Huch! Das liest ja jemand.
    Vielen Dank.

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  3. toll. ich möchte mehr lesen! sucht treibt an.
    mach weiter..

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  4. Freut mich sehr, dass es dir so gefällt. Ab jetzt werde ich hoffentlich wieder regelmäßiger schreiben können.

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  5. Wunderschöne Metaphern!! Ich liebe dieses Gedicht!

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