Dienstag, 6. Juli 2010

Whisky

Heute: Vorurteil


Sie betritt die Bar direkt am Gärtnerplatz, der winzige Raum ist lichtdurchflutet. Und in der Mitte ganz in Weiß: "Liebste!"
Sie küsst ihre Freundin und sie setzen sich an den einzigen freien Tisch. Es dauert, bis sie bestellen können, beide wählen Whisky. (Jack Daniel's Black Label - die Auswahl ist begrenzt.)
Ihre Freundin, die Smalltalk und Höflichkeiten wann immer es geht vermeidet, fragt gerade heraus: "Der erste Abend, den du nicht allein im Bett verbringst - warum sind wir hier?"

Zu müde, eine ganze Renaissance zu erklären, antwortet sie nur: "Der Engländer hat nicht geschrieben."

"Das ist keine Antwort auf meine Frage!"

Stille.

"Oder?"

Der Whisky kommt.

"Das ist eine Antwort auf deine letzte Frage und auf deine nächste Frage: wie ich mich fühle. Wir sind hier, weil ich hier absolut niemanden kenne und weil keine Lust mehr habe ins Pub zu gehen und die Zwillinge zu sehen. Ich kann nicht ununterbrochen austeilen, um garantiert niemals einzustecken. Ich bin zu müde für Spielchen. Ich bin zu müde für Präventivkrieg."

Nochmals Stille. Dann:

"Einverstanden. Die Zwillinge haben Auszeit. Gib mir dein Handy, wir schreiben dem Engländer. Damit du aufwachst."

Sie lächelte und hob ihr Glas. "Auf die Wahrheit."



Damals: Stolz



Sie betrat das Pub, die so seltsam an der Ecke eines Hauses gelegen und damit pfeilförmig war, die trotz ihrer Fensterreihen an zwei von drei Seiten dunkler schien als so mancher Keller: schwere Fässer und Whiskyflaschen lauerten in den Fensternischen und schluckteen gierig das Tageslicht. Ohne sich umzusehen ging sie an die Bar und setzte sich, sie wusste, dass ihre Freunde noch nicht da sein konnten, schließlich war sie eine gute Viertelstunde vor der verabredeten Zeit erschienen. Das gab ihr mindestens eine halbe Stunde bis ihre verläßlich verspäteten Schotten eintreffen würden. Wie immer.

Noch bevor sie sich richtig gesetzt hat stand ein Glas Whisky vor ihr und der Barkeeper sagte ohne sie anzusehen: "Zu früh kommen ist unhöflich, Germany."
Steilvorlage. Sie antwortete grinsend: "Das ist genetisch. Aber mit guter Gesellschaft vergeht das Warten wie im Flug, meinst du nicht, Heathcliff?"
Ohne auch nur den Anflug eines Lächelns erwiderte dieser: "Du hast gut reden, dieses Gespräch ist bestimmt leichter zu ertragen mit einem Ardbeg in der Hand und in der Kehle. Und hör auf mich Heathcliff zu nennen."

Sie lächelte nur und freute sich auf die kommenden Minuten. Kaum etwas machte sie so glücklich wie ein Mann, der schwer zu erobern war. Sie hatte Heathcliff (dessen echten Namen sie zwar eines Abends erfragt aber nach etwas Pech im Trinkspiel am nächsten Morgen vergessen hatte) nun schon knapp drei Monate bearbeitet. Er war reif. Sie sah es in den verstohlenen Blicken, die er ihr zuwarf, wenn er dachte sie bemerke es nicht, und an den unnötig schroffen Antworten, die er seinen Kollegen und den Pubgästen gab, wenn sie nach ihr fragten. Am klarsten sah sie es in den giftigen Blicken, die eine ganz bestimmte Kollegin Heathcliffs ihr oft zuwarf.
Sie wusste: bald war es soweit.

(Was sie nicht wusste: schon heute Abend sollte er sie und ihre Freunde nach der letzten Runde zum Bleiben einladen. Er sollte ihr in einem ruhigen Gespräch zum ersten Mal direkt in die Augen sehen und sie nicht mehr Germany nennen. Sie sollten überstürzt ins Büro gehen und halbnackt auf den Abrechnungen entdeckt werden. Er sollte seinen Job behalten dürfen, sie sollten zwei Tage später beenden was sie an diesem Abend angefangen hatten, in ihrem Bett, ohne Unterbrechung, aber auch ohne Cathy.)

Wir passen immer nur so gut
wie deine Faust
auf mein Auge.

Ich biete
eine rote Schweißperle
gegen hundert goldene Blicke.

Damals
war Herzblut noch
mehr als nur Farbstoff.

Heute
sind es
Versprechen mit Sollbruchstelle.

Die Zeit vergeht langsam
unter Samthäuten.
Hoffnungen sterben
zuletzt
warte ich auf einen Heathcliff,
der mich unsterblich macht.

3 Kommentare:

  1. Schreibst du das ernsthaft selber? Das ist wundervoll, wirklich!!

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  2. Ja, das schreibe ich natürlich alles selbst, und vielen Dank. Ich habe hoffentlich bald Zeit, mehr und regelmäßiger zu schreiben.

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