Montag, 26. Juli 2010

Blank

Heute: Schönheit


Nur knapp zwei Wochen später sind das Eis und die Ruhe von ihren Hüften verschwunden. Sie betrachtet sich im Spiegel. Sie sieht eine schlanke junge Frau. Sie starrt zwischen ihre Beine, auf die Innenseite der Oberschenkel, die so rot und feucht waren am Morgen nach ihrem ersten Versuch, wieder Sport zu machen. Doch die junge Ärztin mit den kurzen blonden Haaren und den dunklen Augen hatte ihr versichert, dass alles in Ordnung sei.
Es hatte gut getan, das zu hören.

Alles ist in Ordnung.

Langsam beginnt sie sich anzuziehen, dann sitzt sie an ihrem Schreibtisch. In ihrem Zimmer. In ihren Klamotten. Und atmet diese Münchner Luft, die ihr so widerwärtig vertraut ist.

Selbst die Ärztin, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, war ihr bekannt vorgekommen. Sie erinnert sie an eine Katze.
(Doch das war reiner Zufall.)

Damals wäre sie einfach weggelaufen, wenn sie sich so gefühlt hätte. In eine andere Stadt, in ein anderes Land – vielleicht einfach nur in ein anderes Bett. In einen anderen Zustand.
Heute würde sie sich weigern, Feuer mit Feuer zu bekämpfen und Probleme mit noch größeren Problemen zu überschatten. In ihrem neuen Leben waren Alkohol und Sex keine Protagonisten. (Vielleicht Souffleure?)

Sie denkt noch eine Weile darüber nach, warum Vertrautheit sie abzuschrecken und alle anderen Menschen anzuziehen scheint. Dann denkt sie an die Ärztin. Und sie erinnert sich: Cat. Ihr Herz verkrampft sich.

(Der restliche Tagesverlauf lässt sich rasch zusammenfassen: sie wird sich in voller Kleidung in ihr Bett legen und fünf ganze Die Drei ??? Kassetten am Stück hören, bei der sechsten wird sie einschlafen.)


Damals: Sex

Der Abend, an dem sie in der Jugendherberge in ihrer Kleinstadt im Süden Frankreichs ankam, war so heiß und schwer, dass sie sich fast wie in einem Márquez-Roman fühlte. (Und die Vorahnung trog sie nicht: die Einsamkeit sollte kommen, selbst wenn sie keine hundert Jahre dauern würde.) Erschöpft schleppte sie sich an die Rezeption, erklärte in ihrem gebrochenen Französisch, dass sie ein Bett im Schlafsaal gemietet habe.

Sie brachte ihren Koffer in das Zimmer, setzte sie sich mit ihrem Laptop an die Bar, die zur Herberge gehörte und kostenloses Internet anbot, um sich auf Wohnungssuche zu begeben. Außer ihr war nur noch ein anderes Mädchen an der Bar, es hatte sehr kurze blonde Haare, rauchte und starrte dabei völlig ungeniert das "rauchen verboten“ Schild an. Doch schon bald wanderte sein Blick weg vom Schild und hin zu ihr, wo er verharrte.
Sie begann sich unwohl zu fühlen unter diesem bohrenden Blick und fürchtete sich doch, aufzuschauen und ihn zu erwidern. (Noch eine Vorahnung, die sich bestätigen sollte.)

Das Mädchen stand auf – im Stehen erschien sie viel größer als zuvor noch auf dem Barhocker – und schlenderte zu ihr. Es stützte sich mit dem linken Arm neben ihr auf der Bar ab. Es roch gut.
Vorsichtig hob sie nun doch den Blick vom Bildschirm und sah der Anderen ins Gesicht. Hinter langen blonden Wimpern lauerten dunkle Katzenaugen.

„Du suchst nach einer Wohnung?“

„Ja.“

„WG?“

„Ja.“

„Ich habe eine Wohnung für dich. 180€ inklusive Nebenkosten.“

„Ah...“

Sie musste lächeln. Frankreich war gut zu ihr. Oder?

„Und warum?“

„Weil das Semester erst in zwei Wochen anfängt, und ich noch jemanden brauche, der für die nächsten zwei Wochen mit mir nach Paris fährt. In der Zeit hast du dann wahrscheinlich wenig Zeit, dir hier eine Wohnung zu suchen.“

Es folgten zwei rauschhafte Wochen, in denen sie halbwach durch Paris taumelten, sich verkleideten, in Theater gingen, in denen ihr Cat (so hatte sie die ihr nach wie vor Unbekannte getauft, und diese hatte gleichmütig zugestimmt) vertrauter wurde als irgendwer sonst, ohne dass sie ihrer überdrüssig wurde. Das muss Liebe sein, dachte sie.
Und das muss Schmerz sein, wusste sie, als Cat verschwand.

Sie blieb noch drei Nächte in der im Voraus bezahlten Herberge und wartete, doch Cat blieb verschwunden. Schließlich fuhr sie zurück, um ihr Studium zu beginnen, und fragte ihren Vermieter über die vertraute Fremde aus, doch der blieb einsilbig.
Sie meinte, ein zweites wundes Herz zu erkennen.

(Sie würde ihn nie wieder darauf ansprechen: er war ein zuverlässiger, hilfreicher Vermieter, nicht allzu aufdringlich. Eine Perle unter den Franzosen. Sie würde sämtliche Vita Sackville-West Biographien lesen, die sie finden konnte, und sie würde die Finger von Frauen lassen.
So begann ihr Jahr in Frankreich mit Wunden Lecken.)

Hier ist alles noch neu
und
fingerabdrucklos rein.

Meine Blicke legen sich
wie Häute
auf die Welt.

Ein leeres Buch
ist vielleicht das Beste,
das je geschrieben wurde.
sagt sie und
küsst mich.

Mit ihren
Glausaugen
und
Nylonhaaren
und
Lippen.

Wenn ich ausatme
beschlägt sie.

Ich werde den roten Faden
und sie verlieren
und weiterblättern
auf lilienweißen Seiten.

4 Kommentare:

  1. Besonders der zweite Teil (damals) gefällt mir gut. Die Verbindung zwischen dem heute und damals ist außerdem sehr gut bzw. ist besser zu erkennen.
    Hast du dir eigentlich schon mal überlegt ein Buch zu schreiben oder etwas in der Art?

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  2. wow, ich werd auf jeden fall öfter mal von dir lesen

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  3. Miss.verständnis, ich überlege mir schon lange ein Buch zu schreiben, dies ist sozusagen ein Testlauf. Ist natürlich alles etwas schwierig neben Studium und Arbeit, aber wo ein Wille ist... Danke für den Kommentar, freut mich dass es dir gefällt!

    Danke auch an F., ich hoffe, ich komme bald wieder zum Schreiben, muss aber auch langsam mal die englische Version updaten, nachdem ich zu meiner Überraschung bemerkt habe, dass ich da plötzlich einen Leser habe.

    Liebe Grüße und bis bald

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  4. Sag bescheid, sobald du ein Buch geschrieben hast, ich würde es sofort kaufen & lesen. Fabelhaft was da so aus deinem Kopf kommt :)

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