Heute: Fallen
Sie liest die Nachricht. Sie antwortet. Sie macht sich direkt auf den Weg zu ihrer Freundin.
Wenig später sitzt sie ihr gegenüber, auf dem großen Himmelbett, und fährt ihr mit dem Daumen zärtlich um die geröteten Augenlider. Sonst berühren sie sich nicht (sie sind keine körperbetonten Menschen). Die Schluchzer der Freundin durchbrechen die Stille. Sonst sprechen sie nicht (sie sind keine redseligen Menschen).
Schließlich steht sie auf und geht zum DVD Regal. Lange steht sie davor. Pretty Woman, Tatsächlich Liebe, Frühstück bei Tiffany. Dann sagt sie: „Gib es zu, du willst diese Filme genauso wenig sehen wie ich, du freust dich nur über die seelischen Schäden, die du mir damit jedes Mal zufügst.“ „Ich habe nie etwas anderes behauptet. Außerdem haben wir beide was davon: ich vergesse über meine Schadenfreude für kurze Zeit meine Probleme, und du würdest nie erfahren, was Leid ist, wenn ich dich nicht hin und wieder daran erinnern würde.“
Sie wählt einige Liebesfilme, die sie weniger unerträglich findet als die anderen und schweigt dabei. Ihre Freundin musste seit Samstag Abend allein so dagesessen und geweint haben. Sie bewundert das. Die Schleusen öffnen und reißende Fluten fließen lassen, denkt sie. Sich für ein paar Stunden lang hinreißen lassen, in diesen Strom fallen und ertrinken. Und dann wieder auftauchen. Sie selbst kennt nur Rinnsale, Tropfen aus Quellen, die zum Bersten gefüllt sind und nie versiegen.
„Vier Hochzeiten und ein Todesfall, High Fidelity oder The Eternal Sunshine of the Spotless Mind?“
Ihre Freundin wählt letzteren.
„So schlimm?“ fragt sie, doch sie bekommt keine Antwort. Sie legt den Film ein, setzt sich wieder auf das Bett und legt nun doch den Arm um das Mädchen, das bereits bei der Vorschau wie hypnotisiert auf den Bildschirm starrt. Sie zieht es zu sich, die andere sinkt seufzend an ihre Schulter und murmelt: „Lass uns später noch weggehen, ja? Vielleicht mache ich es ja einfach mal wie du, betrinke mich und schlafe mit irgendwem.“
Sie zuckt zusammen bei diesen harten Worten doch sie lässt sich nichts anmerken. „Wie du möchtest. Eine von uns beiden muss ja den Ruf aufrechterhalten.“ „Stimmt, bei dir war es ziemlich ruhig in letzter Zeit.“
„Was soll ich sagen. Nice is good“, erwidert sie zeitgleich mit Jim Carrey.
Ihr Herz protestiert.
Damals: Aufstehen
Der Ire mit den grünen unschuldigen Kinderaugen hatte ihr unmissverständlich klar gemacht, dass ihre Affäre vorüber war. Das hieß: er hatte alle ihre Anrufe ignoriert und tat so, als sähe er sie nicht, wenn sie sich über den Weg liefen. Sie hatte in Schottland schon weniger charmante Methoden zum Beenden einer Beziehung erlebt.
Die Frage war nur: wie hatte ihr bester Freund davon erfahren, und was machte er am Sonntag Nachmittag vor ihrer Tür? „Geht es dir gut?“ fragte er.
„Es ginge mir besser, wenn ich den Namen des Mannes in meinem Bett wüsste. Aber wart mal, vielleicht kennst du ihn ja? Magst du ihn dir kurz anschauen? Er schläft noch. Danach müsstest du allerdings gehen, ich will ihm den zweiten Mann in der Wohnung nicht erklären müssen.“
„Was ist mit dem Iren?“
„Was soll mit dem Iren sein?“
Seufzend las sie sich die mit Rechtschreibfehlern fast bis zur Unleserlichkeit gespickte SMS durch, die sie ihrem Freund allem Anschein nach Samstag Nacht geschickt hatte.
„Stimmt. Der Ire ist weg. Ich bin so froh dass ich dir regelmäßig erzähle, was in meinem Leben passiert, sonst würde ich die Hälfte einfach vergessen oder gar nicht erst mitbekommen.“
Ihr Freund lächelte nur und strich ihr über die struppigen Haare. „Immer schön vorsichtig, Kleine. Schmeiß den Unbekannten bald raus, ich hole dich um 7 zum Abendessen ab. Geht auf mich.“
Sie schloss die Tür hinter ihm und schwor sich, allen ihren Freunden so bald wie möglich zu sagen, dass sie sie liebte und brauchte ihnen für alles dankbar war, was sie sagten und was sie ungesagt ließen.
Bist du nicht auch manchmal traurig,
fragte sie
ohne mich anzusehen.
Es gibt keine Stelle in meinem Gesicht,
über die nicht schon einmal eine Träne lief,
keine Stelle an meinem Körper,
die nicht schon berührt worden wäre
Da sind die Spuren,
da sind die Atemzüge und Wimpernschläge,
da ist nichts mehr.
Willst du nicht auch manchmal fallen,
fragte sie,
wenn es nicht so viel schwerer wäre
als weiterzugehen.
Die Straße wird dein Freund,
laufe ihr entgegen und umarme sie
und vergiss nicht
dass die Hände, die sich nach dir ausstrecken,
nur an dieser Umarmung teilhaben wollen.
Und sie weinte.
Ich hielt sie
bis die Tränen wieder Spuren wurden
in meinen müden Armen,
die die Welt tragen,
die verhärten,
die sich nichts sehnlicher wünschen
als an dieser Umarmung teilzuhaben
und zu fallen.
Montag, 2. August 2010
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